08.05.2017 16:24
Kategorie: Kolumne
Lesetipp: „Hoffnungsland“ von Olaf Scholz
Bei manchen Menschen frage ich mich, wie sie das alles schaffen. Olaf Scholz gehört auf jeden Fall dazu. Der Mann ist Erster Bürgermeister unserer Stadt, stellvertretender Parteivorsitzender der Sozialdemokratie, Landesvorsitzender und auf vielen Veranstaltungen präsent. Müde wirkt er eigentlich nie, äußert meistens kluge Gedanken und sprüht oftmals vor Ideen.
Jetzt hat er auch noch sein erstes Buch geschrieben, in dem er die politische „Zeitenwende“ analysiert, die Deutschland zum „Hoffnungsland“ werden lässt. Normalerweise braucht man für derlei Reflektionen Ruhe und Zeit, man muss sich aus dem politischen Alltagsgeschäft zurückziehen und versuchen, den Standpunkt eines „Betrachters von außen“ einzunehmen. Das ist nicht einfach, aber Olaf Scholz gelingt das. Gehen wir in medias res:
Geschrieben hat Olaf Scholz das Buch, weil er eine Zeitenwende konstatiert, die nicht nur unser Land vor Herausforderungen stellt; Indikatoren dieser Zeitenwende sind für ihn die Flüchtlingsbewegung aus dem Nahen und Mittleren Osten, der steigende Migrationsdruck aus Afrika, schwindende Bindungskräfte innerhalb Europas bei zunehmenden Nationalismen und ökonomisch magere Wachstumsraten in den Industrieländern. Eine besondere Rolle kommt dabei der Bundesrepublik zu. Deutschland ist „mit seiner wirtschaftlichen Stärke, gesellschaftlichen Liberalität und politischen Stabilität für viele Menschen in der Welt attraktiv geworden“ , habe sich nicht nur für Flüchtlinge zu einem „Hoffnungsland“ entwickelt.
Gleich im ersten Kapitel konstatiert Scholz eine „neue deutsche Wirklichkeit“, die ursächlich mit der massenhaften Flüchtlingsbewegung im Jahr 2015 zu tun hat – nüchtern und durchaus kritisch beleuchtet er dabei auch die Pannen, Zögerlichkeiten und Fehleinschätzungen nicht nur der Europäischen Union, sondern konkret auch der Verwaltungsbehörden in Deutschland. Indes sieht Scholz in der Flüchtlingsbewegung und den neuen Migrationsströmen aus dem afrikanischen Raum nicht nur Probleme und Sorgen, die es zu bewältigen gilt; getreu seiner optimistischen Grundhaltung beleuchtet er auch die Chancen dieser Umwälzungen, ohne die Risiken zu leugnen. Das Buch profitiert sehr von Scholz´ Erfahrungen als Hamburger Bürgermeister, eher theoretische Überlegungen unterfüttert er häufig mit konkreten Schilderungen aus der politischen Praxis.
Olaf Scholz schreibt in einem gut lesbaren, unprätentiösen Stil, er argumentiert schlüssig und verweist trotz seines grundsätzlichen Optimismus auf Anstrengungen der künftigen Entwicklung unserer Gesellschaft. Letztlich jedoch fordert er den Leser immer wieder auf, sich nicht bange machen zu lassen, sondern aktiv an der künftigen Entwicklung unseres Landes teilzuhaben – allein diese Zuversicht macht „Hoffnungsland“ schon lesenswert.
Und der Subtext: Nach der Lektüre schlugen zwei Herzen in meiner Brust. Ich wünsche mir einerseits mehr Politiker mit dem Format eines Olaf Scholz auf Bundesebene in Regierungsverantwortung. Das würde diesem Land gut tun. Andererseits will ich ihn auf keinen Fall als Hamburger Bürgermeister missen.
Christel Oldenburg