15.10.2018 16:30
Kategorie: Kolumne
Wahldebakel in Bayern – welche Schlüsse kann die SPD daraus ziehen?
Gerade einmal 9,7 Prozent der Wähler gaben bei der Landtagswahl in Bayern ihre Stimme der SPD, über zehn Prozent weniger als 2013 – das ist für die Sozialdemokraten das bisher bundesweit schlechteste Ergebnis bei Landtagswahlen.
Zwar hatte die SPD in Bayern quasi traditionell schon immer einen schweren Stand, aber mit einem einstelligen Wahlergebnis im Landtag nur noch die fünftstärkste Fraktion zu stellen, das tut schon richtig weh. Da hilft oder tröstet es auch wenig, dass selbst die erfolgsgewohnte CSU kräftig Federn hat lassen müssen, ebenfalls über zehn Prozent Wählerstimmen verlor und auf 37,2 Prozent abstürzte.
Natürlich stellt sich nicht erst jetzt die Frage nach den Ursachen für den dramatischen Bedeutungsverlust der SPD – dieser lässt sich ja direkt an den Wahlergebnissen ablesen, deren Trend seit längerem schon nach unten weist.
Klar ist, dass sich das Wählerverhalten stark geändert hat in den letzten 20, 25 Jahren – die ehedem großen, monolithischen Wählerblöcke der Volksparteien SPD und CDU sind massiv erodiert, der Wahlbürger von heute ist bei seinen Entscheidungen ein eher volatiles Wesen und lässt sich kaum noch zuverlässig ausrechnen.
Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, warum sich das Wählerverhalten so verändert hat, gerade auch im Hinblick auf die ehemaligen SPD-Wähler, die jetzt anderen Parteien ihre Stimme geben oder gar nicht erst zur Wahl gehen.
Setzen wir voraus, dass der Kampf für soziale Gerechtigkeit zum Wesenskern sozialdemokratischer Politik gehört, so sollte dieses programmatische Anliegen doch ein attraktives Angebot an weitaus mehr Bürger darstellen, als heute noch bei der SPD ihr Kreuz setzen.
Wenn der proklamierte Einsatz für soziale Gerechtigkeit jedoch in der politischen Praxis konterkariert wird – etwa beim Handeln der SPD in der Großen Koalition – , dann dürfte dieser Widerspruch besonders jenen vielen potentiellen SPD-Wählern übel aufstoßen, die noch Wert auf moralische Ansprüche legen. Enttäuschte Wähler zurückzugewinnen ist unendlich schwer, da helfen nur konkrete Taten, faktisch überprüfbare Glaubwürdigkeit und zäher Langmut.
Just diese Glaubwürdigkeit scheint der Sozialdemokratie aber abhanden gekommen zu sein – nicht nur bei der SPD, sondern auch bei nahezu allen anderen sozialdemokratischen Schwesterparteien in Europa. Die europäischen Wahlergebnisse der letzten Jahre stürzten viele sozialdemokratische Parteien in die Bedeutungslosigkeit, über die Ursachen gibt es verschiedene Ansichten.
Im Hinblick auf die schwindende Wählergunst der SPD ließe sich etwa der Wandel unserer Gesellschaftsstruktur anführen; die sozialen Millieus haben sich einerseits aufgefächert, andererseits existieren ehedem stabile sozialdemokratische Wählergruppen wie die klassische Arbeiterschicht in dieser Form nicht mehr.
Auch die um 2003 bis 2005 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung umgesetzte »Agenda 2010« führen viele Kritiker als klassischen Sündenfall der Sozialdemokratie ins Feld, hier besonders die Einführung des Arbeitslosengeldes II, berühmt-berüchtigt als »Hartz IV« bekannt.
Der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel hingegen sieht in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk die damaligen Steuerreformen als ursächlich für die Krise der SPD:
„Der eigentliche Sündenfall – sozialdemokratisch gesehen – waren nicht die Arbeitsmarktreformen, sondern war vor allem die Steuerpolitik. Das Runterschrauben der Steuersätze für hohe Einkommen und für Einkommen aus Unternehmenstätigkeiten.“
Dahinter stecke jedoch weniger Verrat als die Tatsache, dass die Sozialdemokratie damals dem neoliberalen Zeitgeist auf den Leim gegangen sei:
„Viel zu positiv die Globalisierung gesehen, viel zu negativ die Wichtigkeit des Staates als Instrument der Politik und viel zu euphorisch die Zivilgesellschaft. Dafür bezahlt die Sozialdemokratie heute auch.“
Machen wir uns nichts vor: Für die SPD geht es mittlerweile ums Überleben – wir Sozialdemokraten müssen uns dringend der Frage stellen, was den Wesenskern unserer Politik ausmacht und wie wir unsere Politik in der Praxis umsetzen wollen. Nötigenfalls werden wir dazu auch Kurskorrekturen vornehmen müssen.
Ein »Weiter so« ist schlichtweg nicht möglich.
Christel Oldenburg